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christopher balme 2011

In den meisten europäischen Sprachen verfügt das Wort Erde (earth, la terre, la terra)  über einen Doppelsinn: der Planet, auf dem wir uns befinden sowie das meist dunkelfarbige lebenspendende Material, aus dem alles erwächst - beide benennen wir mit dem gleichen Wort. Wenn wir heutzutage an Bilder der Erde denken, fällt den meisten von uns die neue Software der Firma Google ein. Dank der zahlreichen ausgemusterten Satellitenfotografien, Luftbildaufnahmen und GIS-Systeme, die ursprünglich für die CIA erstellt wurden und von Google als kostenlose Software zur Verfügung gestellt werden, kann sich heute jeder Erdenbürger, der über einen Computer und Internet-verbindung verfügt, mit Hilfe von Google Earth ein Bild der Erde machen.

Man hat auch behauptet, dass die Bereitstellung und Verfügbarkeit von Programmen wie Google Earth und GPS-Navigationssystemen die Vorstellung einer globalisierten Welt befördert haben. Da wir unsere Erde gleichsam von außen betrachten und auf wenige Quadratmeter einzoomen können, sind wir uns endlich bewusst geworden, dass wir für diese Erde auch gemeinsam verantwortlich sind. Google Earth ist aber nur die neueste Variante eines uralten Bestrebens, die Welt bildlich darstellen zu können.
Von der Weltbeschreibung des Ptolemäus über Mercators Weltkarte bis zu der Landkarte, die in meiner Kindheit über meinem Bett hing und auf der alle Länder des British Empire rot koloriert waren, vermitteln Bilder der Erde Allmachtsfantasien. Mein Kollege Robert Stockhammer hat dieser „Macht von Karten und die Lust an ihnen“ eine eigene Studie, Die Kartierung der Erde (2006), gewidmet.

 

„Das Bild der Erde“, das Langzeitprojekt des Münchner Künstlers Ekkeland Götze, geht von anderen Voraussetzungen aus als etwa Google oder die CIA. Ihm geht es weit weniger darum, die Welt zu beherrschen als vielmehr, sich dem Verhältnis verschiedener Kulturen zu den von ihnen bewirtschafteten Stücken der Erde zu nähern. Seit nunmehr 30 Jahren nimmt er Proben und druckt sie in einem eigens entwickelten, Terragrafie genannten Verfahren auf Papier. Es geht ihm auch nicht darum, die Welt abzubilden, auch wenn dies durch sein Verfahren hypothetisch möglich wäre, sondern viel mehr, uns die ungeheure Bedeutung bestimmte Orte und Gegenden für bestimmte Kulturen vor Augen zu führen. Die meisten seiner Projekte befassen sich mit Gegenden, die über eine hohe mythisch-religiöse Signifikanz verfügen: der Berg Sinai, Kailas, der heiligste Berg der Tibeter, Kreta als Wiege der minoischen Kultur, die songlines der Aborigines. Die Fundorte haben für die dort lebenden Menschen eine spirituelle, mythologische, historische oder kulturelle Bedeutung als Siedlungsstätten der verschiedensten Völker.  Solche mythisch aufgeladene Orte verfügen über eine ungeheure zeitliche Konsistenz, die auch Eroberung und Regierungswechsel überdauert. Aus diesem Grund haben ja die frühen christlichen Missionare ihre Kirchen auf den heidnischen Kultstätten errichtet. Auch die christlichen Pilgerorte  orientierten sich häufig an bestehenden, von anderen Göttern bereits bewohnten  Gegenden.

 

In modernen postindustrialisierten Gesellschaften ist es inzwischen unüblich geworden, dort zu leben, wo man geboren wurde. Kaum nachvollziehbar ist es daher, welche Bedeutung so genannte Ureinwohner dem Geburtsort beimessen.  In der Maori-Kultur meiner Heimat Neuseeland ist die Beziehung zwischen dem Individuum und dem Geburtsort identitätsprägend. Der Begriff des  „whenua“, das normalerweise mit „Land“ übersetzt wird, konnotiert vielmehr, da das Wort „whenua“  auch „Nachgeburt“  bedeuten kann und auf die Praxis hinweist, dass nach der Geburt der Mutterkuchen vor dem Geburtshaus begraben wird. Damit steht der einzelne Mensch in einem metaphorischen, aber auch metonymischen Bezug zu einen bestimmten Stück Erde, da ein Teil von ihm dort begraben ist. Solchen Bezügen spürt Ekkeland Götze in seinen Terragrafien nach, wobei die kulturelle und geographische Reichweite im wahrsten Sinne des Wortes weltumspannend ist.  Sein Fokus ist jedoch nicht nationalstaatlich: die Terragraphien repräsentieren nie das Land Neuseeland, Australien, Tibet usw., sondern mythisch signifikante Mikro-Orte, oder gelegentlich auch Makro-Orte im Falle  des Amazonas-Gebiets.

 

Ekkeland Götzes „Bilder der Erde“  bilden auch einen idealen Rahmen für den CAS-Schwerpunkt „Globalisierung in Literatur und Künsten“, der von mir und Robert Stockhammer koordiniert wird. Ziel des Schwerpunktes ist es, die transnationale Verflechtung von Kunst und Literatur zu reflektieren. Wir wollen untersuchen, wie die Künste und Literatur durch Globalisierung verändert worden sind, aber auch wie sie selbst zu diesen Prozessen beitragen. Wir wollen auch fragen, wie unsere einzelnen Fachperspektiven, die immer noch stark nationalkulturell organisiert sind, auf die neuen Herausforderungen reagieren.

 

Da hier Kunst und Literatur in einen Dialog miteinander treten sollen, ist es angebracht, dass der Künstler Ekkeland Götze auch dem Medium des Buchs  große Bedeutung beimisst. Die ausgestellten Bilder sind Teile von Projekten, die auch eine textuelle Begleitung haben, die genauso fundiert und kunstvoll gestaltet ist wie die  Bilder selbst. In dem hier abgedruckten Aufsatz von Carola Schenk sagt Götze, dass er sich aufgrund des Druckverfahrens „nur als Medium“ begreife. Der Künstler als Medium ist natürlich eine ganz alte Funktion bzw. Aufgabe (vielleicht die älteste überhaupt), die in vorschriftlichen Kulturen den Namen Schamane trägt. Auch der Schamane betrachtet sich nur als Medium, durch das die Götter und die mythischen Mächte sich vergegenwärtigen. In gewisser Weise ist auch Götze ein moderner Schamane, der die mythischen Mächte der Erde erfahrbar macht.

 

Zum Schluss möchte ich mich bei den Personen bedanken, die diese Ausstellung überhaupt ermöglicht haben. An allererster Stelle gilt mein Dank Ekkeland Götze, dessen Projekt „Bild der Erde“ ich seit vielen Jahren mit wachsendem Erstaunen beobachte. Da ich das Glück hatte, bei der Neuseeland-Etappe beratend tätig gewesen zu sein, habe ich seine Arbeitsweise kennen und schätzen gelernt. Bedanken möchte ich mich auch bei Carola Schenk, die sich recht kurzfristig bereit erklärte, einen Artikel über den Künstler Ekkeland Götze zu verfassen. Und last but not least Dr. Sonja Asal vom CAS, die sich auf das Abenteuer dieser Welt-Ausstellung eingelassen hat.



Vorwort von Christopher Balme im Katalog der Ausstellung DAS BILD DER ERDE im Center for Advanced Studies der Ludwig-Maximilians-Universität München
vom 21. Oktober 2011 bis 30. März 2012