DAS BILD DER ERDE
Er spricht kein Wort Japanisch, aber Kon-nichiwa kommt ihm nahezu akzentfrei über die Lippen, wenngleich mit sächsischem Zungenschlag. Höflichkeit ist alles in Japan, und daher hat sich Ekkeland Götze gut auf sein dortiges Kunstprojekt vorbereitet. Nach seiner Rückkehr Ende vergangenen Jahres war er um wertvolle Erfahrungen reicher, vor allem was die Gastfreundschaft der Japaner betrifft. Er hat die japanische Kultur und das landestypische Essen genossen und ist auf den Geschmack gekommen. Reis wurde zum Hauptbestandteil seiner Mahlzeiten. Nichts Ungewöhnliches für den Reisenden Götze, denn wenn er sich aufmacht, seine Projekte rund um den Globus zu realisieren, taucht er jedes Mal intensiv in den kulturellen Dialog ein, auch ohne Sprachkenntnisse. Denn seine Kunst spricht für sich, und immer wieder öffnen ihm seine Erdbilder die Tür zu einer neuen Welt. Die Orte, die er bereist, wählt er mit Bedacht. Er gräbt dort nach Erde, schafft sie in kleinen Säcken mit nach Hause und bearbeitet sie stets auf dieselbe Art und Weise. Wie? Das bleibt sein Geheimnis. Die Erden druckt er auf unterschiedliche Papiere, auf feine Stoffe oder bringt sie – wie schon die alten Meister – als Fresko auf frische Kalkmörtelflächen auf. Jede Terragrafie, so bezeichnet der Künstler diese Arbeiten, sind quadratische Unikate und bilden den Ort ab, den er vorher bestimmt hat. Der gebürtige Dresdner, in München lebend, bereist seit mehr als 20 Jahren die Welt. Nicht aus Abenteuerlust. Er arbeitet am Bild der Erde. Von Projekt zu Projekt entsteht ein immer umfangreicheres Werk dieser Erdbilder, dochdas Ziel seiner Mission ist so unendlich wie die Erde selbst.
Als die Naturkatastrophe im März 2011 über Japan hereinbrach, war Ekkeland Götze bereits mitten in der Vorbereitung seines Projekts. Er hatte ein Netzwerk hilfsbereiter Japaner aufgebaut, die ihn leiten und begleiten sollten. Sie waren es, die ihn animierten, sein Projekt trotz der verheerenden Vernichtung durch den Tsunami und die atomare Katastrophe fortzusetzen. Aus Respekt gegenüber den neuen Freunden startete Ekkeland Götze im Oktober seine Reise nach Japan und kam sechs Wochen später mit 43 Erden von Reisfeldern zurück. „Reis“ ist auch der schlichte Titel seiner neuen Arbeiten, die derzeit im Atelier entstehen. Jede Fundstelle hat immer eine ganz besondere Bedeutung. In Neuseeland hat der Künstler die Maori aufgesucht, die ihn auf ihr Heiliges Rot, das Kokowai, aufmerksam machten. Fünf tiefrote Erdbilder entstanden. Er umrundete den Kailas, den Heiligen Berg der Tibeter, und dokumentiert mit seinen Erden die Kora, den Pilgerweg, den ein tibetischer Buddhist mindestens einmal in seinem Leben begangen haben sollte. Mal sind es die Songlines der Aborigines, mal die Geschichten der Amazonasindianer und sogar die Tänze der mexikanischen Rarámuri, die ihn inspirieren. Bei seiner jüngsten Reise war es der Reis. „Reis ist tief in der japanischen Kultur verwurzelt und prägt sie so nachhaltig, dass man sagt: Wo kein Reis gedeiht, gedeiht auch kein Japaner“, so Götze. Zurzeit arbeitet er an der 773. Terragrafie. Fragt man Götze nach seinem nächsten Ziel, dann zögert er nicht lange: Der indische Subkontinent fehlt noch in seiner Sammlung.
Ein Artikel von Susanne Neuhoff im Magazin genussraum Mai 2012