Rede zur Eröffnung der Ausstellung GO WEST von Ekkeland Götze
Im Kunstverein Eislingen am 8. November 2002
Von Manfred Wiemer
Zunächst ist im Grunde alles ganz einfach. Der Künstler sucht einen bestimmten Ort auf, entnimmt dort ein paar Schaufeln Erde, versetzt diese im Atelier mit einem Bindemittel und druckt die so entstandene Masse auf Papier.
Bis dahin Hand-Werk, stellt sich die Frage nach geistiger resp. künstlerischer Dimension. Sie zu beantworten, heißt weitere Fragen zu stellen: an den Künstler, an das umfassende Konzept, an das Verfahren, an die Projekte, an die Ergebnisse, die Arbeiten und schließlich an unsere Reflektion.
Also: wer ist Ekkeland Götze?
Seine knapp gehaltene Biografie sagt uns nichts Besonderes, bestenfalls noch, dass er nicht frühzeitig die steile Künstlerkarriereleiter bestiegen hat. (Dass Götze einer der besten Kunst-Siebdrucker in der DDR war, sei am Rande vermerkt.)
Solange mir bekannt, ist Götze in erster Linie ein Grenzverletzer. Vor allem an sich selbst. Heute würde man seine diversen Verrichtungen als „Extremsport” bezeichnen, manchmal Spiel mit Feuer. Ob es staatliche Verordnungen waren (Druckgenehmigungsverfahren, Ausstellungsbeschränkungen etc.) - Götze dehnte die Wände der Gummizelle DDR - oder aufgesetzte (eitle) Hierarchien und Konventionen im Denken und Formulieren innerhalb des großen Dresdner Bekanntenkreises der 70er und 80er Jahre - hier setzte Götze seine von Theoremen unverstellte, man ist versucht zu sagen: bodenständige Logik entgegen. Manchem mag sie zu einfach gewesen sein. Heute immerhin (und in dieser Ausstellung) wird eine „Philosophie” bei Götze erkennbar, die im Dreieck: Abenteuer, auch Neu-Gier + humanistische Weltsicht + Perfektion (Perfektionismus?) gewachsen ist. Aus dieser Konstellation entstehen seine künstlerischen Arbeiten seit 1989.
Sein Werkstoff ist seither die ERDE, hier bewusst im dreifachen Sinn gebraucht:
Als Begriff für die Krume selbst, verewigt in den Terragrafien, den Boden unter unseren Füßen, und schließlich für die Welt als Ganzes, die er mit seinem Gesamtprojekt belegen will.
Das Grundkonzept kann man einerseits als Gegenpol zu den Manipulationen der Welt, den Zerrbildern medialer Allmacht, letztlich als Angriff auf die Uneigentlichkeit jeder Oberfläche und Oberflächlichkeit verstehen. Den Katastrophen der Zeit oder derzeit stellt Ekkeland Götze die Beständigkeit der Erde entgegen, das „objektive Bild der Erde”, mit der naiv anmutenden Behauptung von der „nicht manipulierten Erde”.
Andererseits sucht Götze in der Erde nach Gründen. Jedenfalls spielt er mit dieser Suggestion. Zumindest erliegen wir ihr - bis zur Enttäuschung.
Die absurde Frage nach der Ur-Sache drängt sich auf: bedingt die bestimmte Farbe einer Erde jeweils eine bestimmte Existenzform des Ortes ihrer Entnahme oder umgekehrt?
Beim Berlin-Projekt (Erdentnahmen im Todesstreifen der DDR-Grenzanlagen) haben Besucher der Dresdner Ausstellung tatsächlich nach Spuren von Blut in der Erde gesucht, wohl wären sie durch ihre Entdeckung nicht verwundert gewesen.
Was hat es mit den Gründen und Böden auf sich?
Ist der in seiner mehrfachen Bedeutung wörtlich genommene „Grund” auch Grund genug für die ganz spezielle Ausprägung des „Darüber-Seienden”?
Grund und Boden - immerhin die wertkonstituierenden Parameter des Besitzes, die Grundlagen für den Kapitalismus, die abendländisch einzig bewährte Form menschlicher Gesellschaft.
Wie bestellt erscheint in der aktuellen Ausgabe der ZEIT (7.11.2002) im Wirtschaftsteil der Beitrag „Ein Land aus Beton”. Am Beispiel des Großraums Stuttgart wird die Verbauung und Zubetonierung der Landschaft beschrieben, in Deutschland jährlich eine Fläche von der Größe des Bodensees.
Man muss nur von Stuttgart kommend, nach Eislingen fahrend aus dem Autofenster schauen, um zu begreifen, was Grund und Boden wert sind: keine zweihundert Meter unbebaut, keine renditeverschenkten Flächen. - In unseren verräterischen, den Kategorien der Verwertung folgenden Definitionen dulden wir kaum noch „Natur”, wir sind statt dessen mit Begriffen wie Naherholungsgebiet, Forst und Bauerwartungsland zur Hand. Und wer doch von Natur spricht ist auf der Spur romantischer Verbrämung.
Insgesamt wird - darauf können wir uns verlassen - Ekkeland Götze jeglichen Determinismus ad absurdum führen.
Seine - von uns immer wieder im Zusammenhang gedachten, und wir unterstellen: von Götze so suggerierten - Tableaus: die Erde als das Beständige und darüber das Unbeständige, das Wechselnde, das Menschengemachte, sind in sich unzulässige Behauptungen: die Konfrontation zweier unabhängiger Dingwelten. - Nicht ganz. Denn natürlich ergäben sich Zusammenhänge, untersuchte man die Projekte gezielt nach Kausalitäten - Götze drängt uns förmlich dazu. Allein die alte Metapher des „auf Sand Gebauten” verführt zu einer Betrachtung der Terragrafien im Abgleich zu den Grabungsorten mit der Brille der Baugeologen und Statiker.
Man könnte diese „Unklarheit” als Schwäche der Projekte sehen, als Inkonsequenz, als Herbeizitat, würde man die Projekte an den Regeln der Wissenschaft messen. Hier aber handelt es sich um Kunst, dies zur Erinnerung.
Gerade in der Spannung zwischen den Orten, die ja in jedem Projekt Götzes bisher einer wie auch immer gearteten Exotik nicht entbehren, und der Behauptung einer Objektivität der Erde, die die Überbauung, den Überbau, fast hätte ich gesagt: „erst ermöglicht”, ist die philosophische Qualität der Kunst Ekkeland Götzes zu finden.
Ein Gedankenraum entsteht in jedem Projekt mit wiederkehrendem und höchst unterschiedlichem Potenzial an Assoziationen. Darauf sind wir aufgefordert uns einzulassen. Wir hören nicht auf - wie bei jeder guten Kunst - zu entdecken, vor allem, wie immer, unsere eigene Position, das oftmals verschüttete ICH.
Schließlich: Es geht Götze immer um auratische Orte. Aura konstituiert sich in seinen Projekten - wenn man so sagen darf. Aus Sagen und Legenden Eingeborener (ruaumoko und kokowai), aus dem sagenumwobenen Historischen
(Elefanten im Schnee), aus spirituellen und religiösen Aspekten (kailas), aus geo-ethnischen Bezügen (amazonas).
Einzig GO WEST scheint die Kreise einer Aura zu verlassen. Aber gerade die willkürlich geo-metrischen Vorgaben mit ihren ebenso fest stehenden wie andererseits auch nicht kalkulierbaren Ergebnissen verleiht dieser Arbeit eine ganz besondere Qualität. Man könnte sie als Spiritualität bezeichnen, die der eigenen Planung und Handlung des Künstlers entstammt. Das heißt, durch Götzes Eingriff gewinnen die Grabungsorte eine Aura - in unserer Reflektion.
Darin im weitesten Sinne vergleichbar den Land-Art-Projekten von Richard Long, der im Zusammenhang mit seiner 1968er Arbeit „A ten mile walk on November 1” sagte:
„Ich benutze die Welt, wie ich sie vorfinde - als Plan und als Zufall”.
Long wanderte durch eine von einer Landkarte vorgegebene Landschaft, diagonal übers Blatt und dokumentierte dies nur durch einen Strich auf der Karte.
Dennis Oppenheim und Robert Smithson wären zu nennen, die bei ähnlichen Projekten Geröll sammelten, Aufzeichnungen, Fotos und kartografisches Material in Collagen zusammengefasst haben.
Ekkeland Götzes „Erdentour” in GO WEST folgt der selbst gewählten, von Wissenschaftlern definierten Linie des 40. Nördlichen Breitengrades von Ost nach West. Eine fiktive Linie, mit heutigen Mitteln der Technik schärfstens konkretisierbar.
Der Weg der ersten Europäer im „neuen Indien”, der Weg der Goldgräber und Siedler, „der Weißen”, verlief - einfach gesagt - den Bedürfnissen menschlichen Lebens folgend. Hart gesagt: Landnahme, Kolonisation, Unterwerfung, Vernichtung von Leben und Lebensgrundlagen. (Manhattan war, wie wir wissen, für praktisch Nichts zu haben.)
Mit der Ideallinie - 40. Nördlicher Breitengrad in westlicher Richtung - verlässt Götze nicht nur die Fährte der weißen, seiner europäischen Vorfahren, sondern auch die Fährte menschlicher „Vernunft”, die sich - zum Glück, denken wir - nicht mathematisieren lässt.
(Anders übrigens als 1988 bei Götzes „Projekt” Ausreise aus der DDR - nach Westen, wo er der Vernunft folgt, seiner Vernunft. Wie Sie längst ahnen, war ihm die DDR einfach zu eng geworden.)
Bei GO WEST arbeitet der Künstler, allem mathematischen und geografischen Anschein entgegen, mit dem schlichten Zufall. Er gräbt nicht an der Stelle der ersten Schritte Columbus´ und seiner Nachfolger, nicht an den Stellen blutiger Auseinandersetzungen mit den „Indianern”, nicht an den Orten der Siedlungen, nicht an den Grenzen der abgesteckten Claims, nicht im „entgoldeten” Boden. Götzes Grabungsorte in GO WEST sind Schnittstellen jeweils zweier Notwendigkeiten: der geometrisch errechnete Punkt und die Konkretheit des Ortes. Nicht nur der Dialektiker benennt diese Schnittstelle mit dem Begriff des „Zufalls”.
Bei aller Behauptung der Objektivität kann sich Götze nicht gewissen, letztlich ideologischen Voraussetzungen entziehen. Eine Kugel, auch eine abgeplattete, lässt jede Richtung auf ihr relativ erscheinen, d.h. sie muss definiert werden. Die Frage nach der Definitionshoheit wäre zu stellen.
In dem Moment aber, wo die Himmelsrichtungen wirtschaftlich, kulturell und politisch wertend aufgeladen werden, begibt man sich mit einem Konzept wie GO WEST auf eine nicht mehr überschaubare Anzahl von Ebenen.
Genau das will Götze mit diesem Projekt und spricht in diesem Zusammenhang von „Kommunikationsplattformen”, eine in der Gegenwartskunst häufig bezogene Position.
Nach heutigem Klischee verheißt GO WEST Freiheit und Reichtum. Von den Goldgräbern in Amerika bis zu den „illegalen” Einwanderern aus den ehemaligen Ostblockstaaten ertönt der Ruf GO WEST.
Quer durch alle alten Kulturen allerdings wurde die westliche Richtung mit dem Sterben in Zusammenhang gebracht. Im alten China als Synonym für Herbst, die sterbende Sonne, Trockenheit, Kummer; im christlichen Weltbild als Ort der Finsternis, Sitz der Dämonen und des Teufels (= daher besonderer Schutz der Westseiten von Kirchen); im Indianischen der Wohnsitz des Donners. - Die Dokumentation zu GO WEST lässt tendenzielle Rückschlüsse nicht zu.
(GO WEST wird hier in Eislingen zum ersten Mal komplett gezeigt.)
Bleiben die Terragrafien selbst. Die Erden, von Ekkeland Götze in einem von ihm entwickelten Verfahren auf Papier gedruckt, entfalten eine für sich stehende, nicht vergleichbare ästhetische Wirkung. Das meint, die Blätter zeigen ihre visuelle Qualität auch unabhängig von ihrer Projektbasis.
Selbstverständlich lassen sich Namen aus dem Bereich der Malerei seit der Behauptung des schwarzen Quadrates von Malewitsch Anfang der 1920er Jahre herbeizitieren: der Pole Strzeminski um 1930, der Bauhäusler Josef Albers, Mark Rothko, Barnett Newman, allen voran Yves Klein, zuweilen Rupprecht Geiger (Götzes Kollege in der Münchner Walter Storms Galerie) oder gelegentlich Gerhard Richter, alle natürlich mit höchst unterschiedlichen Ansätzen und Absichten.
Götzes Terragrafien enthalten in ihrer Homogenität ein starkes meditatives Potenzial und in ihrer Askese einen großen Reichtum an Assoziationen. Hier ist er Hermann Glöckner nahe, dem bedeutenden Dresdner Konstruktivisten, mit dem Götze als Siebdrucker zusammengearbeitet hat.
Bei allem ist unerheblich, ob die Terragrafien als Belege für die Projektabläufe oder die Entwicklung von Projekten aus der Entdeckung des Terragrafieverfahrens erwachsen sind.
Wie für den in Frankreich lebenden Polen Roman Opalka die auf Leinwände gemalten Zahlenkolonnen von eins bis weit in die Millionen hinein eine Art Tagebuch der Stetigkeit darstellen, dürfen wir die Terragrafien Götzes im Zusammenhang mit seinen Projekten als Logbuch eines Rastlosen betrachten.
Das Logbuch zeigt uns ein Welt-Bild, das Ekkeland Götze ganz für sich entworfen hat. Ein Weltbild unverstellt humanistisch geprägt, von gängigen Zynismen und Vulgarisierungen unberührt, durchaus naiv im Sinne von Offenheit und in der trotzigen Behauptung der Erdenschwere - alle Dinge werden schließlich zu Erde.