BILD DER ERDE.
Ein vollkommenes Bild der Erde zu schaffen, die Erde ganzflächig mit Bildern ihrer selbst zu bedecken, ist das utopische, niemals realisierbare und doch in der Phantasie existierende und daher mögliche Ziel des Künstlers Ekkeland Götze. Bei dieser Verhüllungsidee fallen einem die spektakulären Aktionen Christos und Jeanne-Claudes ein, doch verkleiden diese beiden Künstler mit wesensfremdem Material – Plastikfolie oder Stoffen – ausgewählte, ständig sichtbare Objekte und machen durch diese grundlegende Veränderung deren ästhetische, oft auch grandiose Gestalt bewusst. Sie führen uns vor Augen, was wir durch permanente Sehgewohnheit kaum noch wahrzunehmen in der Lage waren. In Ekkeland Götzes Erdinstallation geht es weniger darum, durch Verbergen bisher unbeachtete Eigenschaften eines allgemein bekannten Objektes offen zu legen, als vielmehr um die Vorstellung, etwas, was vorher gar nicht sichtbar sein konnte, weil es in der Tiefe der Erde versteckt war, ans Licht zu befördern und durch ein Bild, ein Porträt, wenn man so will, zu repräsentieren, geschaffen aus dem genau dort ausgegrabenen Erdmaterial. Auch hier manifestieren sich Werte ästhetischer, daneben auch struktureller, farbiger und ideeller Natur, die ohne den künstlerischen Gestaltungsprozess unentdeckt blieben.
Ekkeland Götze verwirklicht sein "Bild der Erde" mit dem Material Erde. Die Logik dieser Analogie überzeugt auf Anhieb, dennoch handelt es sich um ein unkonventionelles und eigenständiges Verfahren. Auch andere Künstler beschäftigen sich auf individuelle Weise mit dem Material und dem Geheimnis "ERDE" - wie etwa Götzes bayerische Künstlerkollegen Helmut Dirnaichner oder Nikolaus Lang -, doch hat niemand bisher mit Erde gedruckt. Ebenso konsequent wie die Wahl des Materials erscheint die Präsentation von Götzes Erdbildern als Bodeninstallation, die in der Galerie Walzinger erstmalig in dieser Form verwirklicht wird. Der Blick von oben auf diesen Teppich erdfarbener Felder stellt eine ungewohnte Perspektive der Kunstbetrachtung dar. Was uns daher vielleicht zunächst irritiert, entspricht ganz folgerichtig Götzes Idee eines die Erde bedeckenden Bildes. Man mag sich an die distanzierte Sicht aus dem Flugzeug auf eine kultivierte Landschaft erinnert fühlen.
Das künstlerische Verfahren, das Ekkeland Götze 1989 erfand und seitdem ausschließlich anwendet, nennt der Künstler selbst "Terragrafie". Damit meint er einerseits den technischen Vorgang des Druckens von Erde anstelle der allgemein üblichen Farbe, wobei er sein Erdmaterial an einer vorher festgelegten Stelle entnimmt und es vor dem Druck unter stets gleichen Bedingungen siebt, aufschlämmt und mit Bindemittel versetzt, es jedoch nicht manipuliert, indem er es zerreibt, brennt, mechanisch oder chemisch bearbeitet. Andererseits versteht Götze unter "Terragrafie" sein künstlerisches Konzept, das seit nunmehr 20 Jahren sein gesamtes Denken und Schaffen prägt. Im Zentrum steht der Planet Erde, der uns Menschen Existenzgrundlage, Lebensraum und Nahrung bietet. Ekkeland Götze ist fasziniert von diesem Urgrund irdischen Lebens, der in vielen, besonders den sog. "primitiven" Kulturen verehrt und geheiligt wird. Mit seiner Arbeit will er unser Bewusstsein schärfen für den unschätzbaren Wert der Erde, für die Schönheit der Natur, die selbst im Verborgenen präsent ist, sowie für besondere Orte, die für die Menschheitsentwicklung historisch, kulturell oder religiös große Bedeutung besitzen.
Die Reisen, die Ekkeland Götze unternimmt, um sein "Bild der Erde" zu verwirklichen, führen in alle Kontinente dieser Welt. In der hier präsentierten Installation zeigt Götze eine Auswahl von genau 522 seiner insgesamt über 650 in weltweiten Projekten entstandenen Erdbilder, ein Fragment seines Welt-Bildes, das mit jedem weiteren Projekt wächst und sich verändert. Von diesem partiellen Gesamtbild der Erde existieren genau drei Exemplare. Bei den ca. 11 x 11 cm großen Grafiken handelt es sich um den jeweils ersten Druck einer Serie, den Götze in einer limitierten Auflage von maximal 25 Exemplaren neben großformatigen Editionen in geringer Stückzahl und Künstlerbüchern herstellt.
Götzes Erddrucke wirken minimalistisch. Die Farbe bedeckt das ganze Blatt relativ homogen und fast monochrom. Eigenartige, beeindruckende Strukturen entstehen aufgrund der materiellen Zusammensetzung der Erde. Der Künstler nimmt keinen Einfluss auf Form und Farbe, er verhält sich bei jedem Druck neutral und lässt die Erde zeigen, welch unvermuteter Reichtum in ihr steckt. Bizarre Formen können sich entfalten, die Assoziationen an naturhafte Erscheinungen wecken und den Eindruck von lebendigen, organischen Vorgängen vermitteln. Es ist schon erstaunlich, wie vielfältig und verschiedenartig in ihrem stofflichen Charakter die Oberflächentexturen der einzelnen Terragrafien ausfallen! Da gibt es ganz gleichmäßige, dichte und geradezu samtige Flächen, daneben solche, die an Schmirgelpapier in diverser Körnung erinnern, oder auch Beispiele, die durch gröbere Einschlüsse kontrastreicher strukturiert sind. Da sich die Bestandteile der Erde nicht homogen in dem für den Druck hergestellten Erdbrei verteilen, bringt jeder Druckvorgang ein einzigartiges Ergebnis, ein Unikat hervor. Tonqualitäten, Dichte und Struktur der Partikel variieren von Blatt zu Blatt, doch erkennt man mit geübtem Blick die großen und kleinen "Geschwister" einer Serie, wie Götze die aus der gleichen Erde in unterschiedlichen Formaten hergestellten Drucke nennt.
Obwohl sich Ekkeland Götze um Objektivität bemüht, indem er sein Erdmaterial im Atelier stets unter den gleichen, genau determinierten Bedingungen aufbereitet und auf Bütten- oder andere Papiere (oder auch wie im Shoa-Projekt al fresco auf Kalkmörtel) druckt, entzieht sich die Grafik einer exakten Reproduzierbarkeit. Erde als lebendiger Stoff lässt keine identischen Bilder zu, erlaubt keine Wiederholung des immer Gleichen. Das Druckergebnis lässt sich nicht berechnen, bestenfalls erahnen und überrascht auch manches Mal selbst den Künstler. Insofern besitzen Götzes Bilder bei aller Normierung des grafischen Verfahrens einen experimentellen Charakter.
In ihrem elementaren "Selbstsein" sowie in der Zurückgenommenheit der persönlichen künstlerischen Handschrift stehen Götzes Terragrafien durchaus in der Tradition der konkreten Kunst. Doch führt das ihnen zugrunde liegende nicht sichtbare Konzept weit über eine auf rein bildnerischen Gesetzmäßigkeiten basierende Logik hinaus. Dieses Konzept bildet Ausgangspunkt und Kern von Götzes künstlerischem Werk. Das Wissen um die geistigen Hintergründe, die der Künstler in seinen Titeln, Dokumentationen von Orten und Daten sowie kurzen, erläuternden Begleittexten vermittelt, macht die Bilder neben ihrem ästhetischen Ausdruck zu Interpretationen der Kulturgeschichte. Materielle Präsenz, immaterielle Kraft und ideeller Gehalt sind in Götzes Bildern untrennbar verknüpft. Sie führen damit sehr eindrücklich vor Augen, was alle gute Kunst ausmacht. Dabei ist die geistige, meditative Ausstrahlung in ihnen besonders ausgeprägt.
Die Realisierung von Götzes Konzepten, von der Idee über gründliche Recherchen, eine minutiöse Planung und Durchführung der Reisen inklusive der Grabungen, Dokumentationen, Aufarbeitung des gesammelten Materials bis hin zum Druck der Erdbilder im Münchener Atelier des Künstlers kann bei einem Projekt bis zu mehreren Jahren in Anspruch nehmen. Die Stellen, an denen Ekkeland Götze seine Erden ausgräbt, sind keineswegs beliebig, sondern wurden von ihm im Rahmen der konzeptuellen Projektentwicklung vorher eindeutig definiert. Die Anzahl der Grabungsorte und damit auch der Erdbilder hängt jeweils eng mit der behandelten Thematik zusammen. Für jedes Projekt arbeitet Götze eine individuelle und durchaus originelle Konzeption aus.
So gaben dem Künstler in seiner sich Afrika, dem Kontinent der Tiere, widmenden Serie Lapalala aus dem Jahr 1998 Spuren von Nashörnern die Grabungsorte in den Wasserbergen im Norden Südafrikas vor. In anderen Projekten hat Götze seine Erde an solchen Plätzen gegraben, die für das dort lebende Volk historische, mythologische oder rein persönliche Bedeutung besitzen. Zulu (1998), Europa (2008) oder Amazonas (2000) seien als Beispiele genannt. Im Atlantis-Projekt von 1992 sind es die sechzehn geologischen Schichten der Insel Santorini, die die Orte für Götzes Erdgewinnung vorgaben, bei Sinai (2004) und Kailas (1999 und 2002) sind es heilige Stätten, bei Go West (2001) ist es ein geografisches Raster. In den Songlines (2008) animierten die Traumpfade der australischen Aborigines Götze zu seinem Konzept. Doch es gibt auch tragische Themen von historischer Tragweite, die Ekkeland Götze zur künstlerischen Auseinandersetzung veranlassten: Die Berliner Mauer (1989), Todesstreifen (1992) und Shoa (2005). Seine druckgrafischen Ergebnisse dieser Orte lassen weder Gewalt und die unsäglichen Verbrechen an der Menschheit noch zahlloses Leid, Schmerz und Trauer erkennen. Sie sind als Bilder ebenso neutral wie die Terragrafien von heiligen Stätten oder anderer positiv geprägter Orte. Allein unsere Kenntnis der historischen Fakten bewegt uns dazu, die Erddrucke dieser Projekte mit einem Gefühl der Beklemmung zu begutachten. Das, was wir sehen, gewinnt durch das, was wir wissen, eine ganz andere Dimension.
Völlig gegenstandslos gibt Ekkeland Götze in seinen Bildern der Erde ein Gesicht. Seine erdgebundene Kunst lässt uns die Wirklichkeit ganz neu und anders erfahren, als wir sie bisher kannten. Sie lässt uns das Wesen der Erde ergründen, ihre Schönheit und ihr Geheimnis.
Rede von Dr. Petra Wilhelmy zur Ausstellung BILD DER ERDE - Erdbilder aus 5 Kontinenten in der Galerie Walzinger Saarlouis am 29.3.2009