Bericht über die Reise zum heiligen Berg Kailas
Als ich in der Wildnis Afrikas den Nashörnern nachlief, fasste ich den Entschluss, 1999 zum KAILAS zu gehen. In der Kindheit hatte ich von ihm gelesen und seitdem immer wieder an ihn gedacht. Der erste Schritt zur Realisierung eines Terragrafie-Projekts am heiligsten Berg und Nabel der Welt, den die Tibeter Gang Rinpoche - das Schneejuwel - nennen, bestand darin, S.H. Drikung Kyabgong Chetsang, einen der höchsten geistlichen Würdenträger Tibets und Oberhaupt des Drikung-Ordens, um sein Einverständnis zu diesem Vorhaben zu bitten. Im Juli 1998 arrangierte Inka Jochum in München ein Treffen mit ihm, und nach einem Gespräch über mein "Weltbild"-Konzept bekam ich seinen Segen für dieses Projekt.
Bekanntermaßen ist die Einreise in das von China annektierte Tibet nicht ganz einfach. Deshalb machte mich Inka mit Bruno Baumann bekannt, der Tibet unzählige Male bereist hat und als einer der besten Kenner des Landes gilt. Begeistert vom Projekt, bot er mir bei unserem zweiten Treffen seine Begleitung und die Organisation der Reise an. Wir wollten als Gruppe - denn nur so bekommt man die direkte Einreise von Westnepal nach Tibet - die Grenze zu Fuß auf dem uralten Pilgerweg entlang des Karnaliflusses erreichen. Auf meine Bitte hatte Edoardo Zentner aus Zürich versucht, einen tibetischen Originaltext über den KAILAS zu beschaffen, der Teil des geplanten Buches werden sollte. Trotz seiner intensiven Bemühungen und gegebener Zusagen musste man Ende Juli konstatieren, dass die Texte vor Reiseantritt nicht mehr zu beschaffen sein würden. In der letzten Juliwoche rief er mich unerwartet an und nannte mir die Telefonnummer von Lama Sonam Jorphel. Der würde mir helfen können, Kathmandu aber am 5. August, dem Tag unserer Ankunft, verlassen. Eile war geboten. Die Verbindungsaufnahme war zunächst schwierig, vereinfachte sich dann aber kolossal, als sich sein Sekretär Ferdinand im schönstem Deutsch meldete und wir die weitere Kommunikation per E-Mail vereinbarten. Die Texte würden nach meiner Ankunft in Boudha abzuholen sein.
In Kathmandu (1300 m) angekommen, war ich bereits nach dem Verlassen der Gangway schweißgebadet. Als erstes fischte der Zoll das Satelittentelefon aus meinem Handgepäck und wollte es nur gegen die Zahlung einer Gebühr von 3000 $ wieder heraus geben. Wir mussten also darauf verzichten. Nach Verlassen des Gebäudes überfielen uns zunächst die Gepäckträger, dann der Verkehr von Kathmandu: fünf Reihen Autos, Trucks, Fahrräder, Töfftöffs, Motorräder, Busse und Rikschas in zwei entgegenkommenden Fahrspuren, ohrenbetäubendes Hupen, Abfall, Staub und Menschen, Menschen und nochmals Menschen.
Schon am Nachmittag traf ich Jimmy Thapa, den Bruno um die Beschaffung der Buchdeckel für das geplante KAILAS-Buch gebeten hatte. Nun hielt ich zum ersten Mal einen Buchdeckel in der Hand. Handgeschnitzt aus dem Holz der Seasumbäume von Lumbini, dem Geburtsort Buddhas, wundervoll gemacht und fast 4 kg schwer. Und er hatte auch die Texte von Lama Sonam dabei. Meine gefaxte Bitte um Abholung hatte ihn also erreicht. Wir besprachen die Umgestaltung der tibetischen Texte von extremen Querformat in vier quadratische Druckformen, die von Hand geschnitten würden, und wählten das Lokta-Papier für den Handdruck aus. Dieses handgeschöpfte Papier wird in traditioneller Weise aus der Rinde des Daphnestrauches im Himalaja in Höhen von über 6500 Fuß hergestellt. Während meiner Reise zum KAILAS würde Jimmy den Druck der vier Blätter organisieren und überwachen.
Am nächsten Vormittag besuchten wir die große Stupa von Boudha, deren Kuppel ausgerechnet an diesem Morgen neu eingefärbt wurde, was nur einmal jedes Jahr geschieht. Vor unserer Abfahrt übergab mir Jimmy Fahnenschnüre für den Drölma La, auf denen mein Projekt beschrieben war. Im Wind dort oben würde sie den himmlischen Segen dafür erbitten.
Mittags verließen wir Kathmandu. Auf der Fahrt zum Flughafen kam uns ein Stier entgegen, der eine Kuh kopulierend vor sich herschob, ein gutes Omen. Auf dem Flug nach Nepalgunj (265 m) in der indischen Ebene gewann ich einen Freiflug bei der Bordlotterie. Doch die Nachrichten nach unserer Ankunft in noch größerer Schwüle waren nicht besonders gut: Seit drei Tagen war kein Flugzeug mehr nach Simikot, dem Ausgangspunkt unserer Trekkingtour, geflogen. Deshalb war auch das gebuchte Hotel noch immer belegt. Wir nahmen Quartier im Gästehaus einer verrückten Amerikanerin, das sich noch im Bauzustand befand, dessen Klimaanlage aber durchaus effektiv arbeitete. Trotzdem fand ich kaum Schlaf in dieser Nacht.
Der nächste Morgen war ein einziges Warten und Bangen um den Flug nach Simikot. Endlich gegen Elf die Erlösung: wir werden fliegen, mit dem extra bezahlten Übergewichtsgepäck. Die Landepiste von Simikot (2950 m) setzt mitten am Berg an und zieht sich nur 250 m den Berg hinauf. Schlamm spritzte beim Landen die Fenster völlig zu. Die Kinder der umliegenden Gegend waren vollzählig zu unserer Ankunft erschienen, auch unsere Sherpas und Lasttiere samt Treiber erwarteten uns schon. Um 12.00 Uhr machte ich das erste Schwarz-Weiß-Foto in Richtung KAILAS. Das würde ich von nun ab täglich um 6.00, 12.00 und 18.00 Uhr bis zum Ende der KAILAS-Umrundung tun. Danach ging es unwiderruflich los:
mit einem Aufstieg zum ersten kleinen Pass und wieder bergab, vorbei an einzelnen Hütten, drei Stunden lang nach Dharapuri (2300 m), unserem ersten Lagerplatz. Die nächsten Tage folgten wir bergauf und ab dem Tal des Humla Karnali, überquerten einige schweißtreibende Pässe, besuchten das Kloster Namka Khyung Zong, begegneten Ziegenkarawanen, die Salz von Tibet nach Nepal brachten, passierten Wasserfälle und Bierflaschen, die die Bewohner einzelner Hütten am Wegesrand feilboten, nächtigten auf einer Steinwiese oder Sanddüne, mussten unsere Pässe vorzeigen und Trekkingpermits kontrollieren lassen und erreichten endlich Yari (3600 m).
Am nächsten Morgen war der Nara La mit einer Höhe von 4350 m zu bezwingen. Ich verlor die Spitzengruppe um Bruno bald aus den Augen und ging, ganz dem inneren Motor folgend, in ziemlicher Ruhe bergauf. Nach zweieinhalb Stunden erreichte ich die Passhöhe im Nebel. Doch kaum um die Ecke gebogen, lichtete sich der und Tibet lag vor mir. Eine unglaubliche Weite von Fels und Stein, nur ganz in der Ferne leuchtete ein winziger Fleck saftigen Grüns, die Grenzstation Sera. Doch bis dahin war der lange Abstieg zum wieder aufgetauchten Karnali zu bewältigen, dieser auf einer Hängebrücke zu überqueren, um dann zur Grenzstation (3750 m) aufzusteigen. Dort wurde ich von einem chinesischen Soldaten begrüßt, der mit großem Eifer zackig sein Gewehr präsentierte.
Zwei Wochen vorher waren per Fax von München aus drei Jeeps und ein Truck in Lhasa bestellt worden. Eine gute Stunde nach unserer Ankunft tauchten sie auf! Sofort nach dem Eintreffen der letzten Reiseteilnehmer fuhren wir los. Mit Gerüttel und Geschüttel, über Stock und Stein, Bäche und Flüsse überquerend, gelangten wir auf einer Schotterpiste zum Kloster Khojarnath. Das älteste unzerstörte Kloster Tibets empfing uns mit dem Dröhnen der Tuben, dem Gellen der Glocken, dem Schlagen der Becken und dem Singsang der Mönche. Auf diesen plötzlichen Besuch war ich nicht vorbereitet und musste auf Tonaufnahmen verzichten. Tibet empfing mich aber so auf ganz ureigne Weise. In der alten Pilgerstadt Taklakot (3860 m), das von den Chinesen Purang genannt und vom Militär dominiert wird, mussten wir im Guesthouse Quartier nehmen. Dort sollten am nächsten Morgen die Zollformalitäten durchgeführt werden. Auf den Bergen und Hügeln ringsum waren die Reste weitläufiger Klosteranlagen, in der Ferne die Eisriesen des Himalaja zu sehen. Am Morgen nutzte ich die letzte Gelegenheit, strapazierfähige doppelwandige Reissäcke zu kaufen, die ich nach den Erfahrungen mit den Tragtieren im Humla Karnali Tal dringend für den ERD-Transport am KAILAS brauchen würde.
Bald nach unserem Aufbruch baute sich nach und nach die Gurla Madhata (7728 m) zu majestätischer Größe auf und wir erreichten den Gurla-Pass (4590 m). Von hier aus hätte man den KAILAS zum ersten Mal erblicken können, aber auch bei der ausgiebigen Rast am heiligen See Raksastal ein wenig später blieb der Berg zunächst verhüllt. Hier und da hob sich ein Wolkenzipfel, zeigte sich der Fuß, später sogar die Himmelsleiter, der Gipfel jedoch blieb verhangen. Nach einigen Stunden der Betrachtung und Versammlung fuhren wir zum Lager am noch heiligeren See Manasarovar (4550 m). Dort zelebrierte gerade eine Gruppe von Pilgern ein Ritual. Die Männer sangen auf einer kleinen Insel nahe des Ufers Gebete und opferten dem See eine riesige Torte. Die Frauen und Kinder warfen sich immer wieder nieder und übergaben tausende von beschriebenen Zetteln dem Wind. Dann, am frühen Abend, zeigte sich der KAILAS in voller Pracht.
Nach dem Besuch des Chiu Gönpa, das über dem Manasarovar thront, brachen wir zum KAILAS auf. Ein weiteres Mal wurden unsere Pässe kontrolliert, bevor wir am Fuß des KAILAS Darchen (4575 m) erreichten. Sogleich überfielen uns Nomadenfrauen, die uns mit aller Macht Schmuck und Souvenirs verkaufen wollten. Bruno und ich erledigten die Polizeianmeldung, bezahlten das "Eintrittsgeld" zum Heiligen Berg und organisierten die Yaks. Ich orderte drei Extratiere für den Transport der ERDEN. Um die außergewöhnlich schöne Wetterlage auszunutzen, brachen wir noch am Nachmittag zur Kora auf, dem Pilgerweg um den Gang Rinpoche. Unterwegs grub ich am Tschaktsäl Gang, der Ersten Niederwerfung, auch die erste ERDE. Am Eingang zum westlichen Tal des KAILAS, einem geradezu idyllischem Platz, war unser Lager aufgeschlagen. Oberhalb davon, am Tschörten Kangnyi, dem zweibeinigem Tschörten, grub ich die zweite ERDE. Bis zum Einbruch der Dunkelheit war das unglaubliche Spiel des Lichts in den Flanken des KAILAS zu bewundern.
Etwas verspätet trafen am nächsten Morgen die Treiber mit den Yaks ein. Sie wurden in zwei Gruppen eingeteilt, denn Bruno würde am Nordwandkloster, nach einem weiteren Lager, zur Quelle des Indus abbiegen. Da das reduzierte Gepäck sortiert bereit lag, wollte ich nicht auf die Beladung der Tiere warten und ging schon los. Vorbei an Tarbotsche, der großen Stange, und dem darüber liegenden Himmelsbestattungsplatz kam ich zum Tschöku Gönpa, an dessen Fuß ich die dritte ERDE gewann. Schon trotteten die ersten Yaks heran. Aber die Treiber weigerten sich den Sack aufzuladen. Zu meinem Glück tauchte nach einer kleinen Weile Indra, unser Sirdar, auf und übernahm die Verhandlungen mit den Nomaden. So konnte ich unbeschwerten Fußes weiter das Tal hinaufgehen und die wundervollen Ausblicke genießen. Am Schabdsche, dem Fußabdruck Buddhas, im Angesicht der Westwand des KAILAS schaufelte ich die vierte ERDE. Da die Yakkarawane nicht in Sicht war, schulterte ich kurzerhand selbst den Sack und erreicht die Nordwand am Nachmittag. Nach der späten Ankunft der Yaks stellte ich fest, dass Indra die dritte ERDE selbst heraufgetragen hatte. Unsere Treiber hatten sich geweigert, den Sack aufzuladen, aber nicht verhindert, dass ein Yak die Kocher abgeworfen und völlig demoliert hatte. Im allgemeinen Durcheinander schlugen die Sherpas unser Camp an dieser Stelle auf. Auf der gegenüberliegenden Talseite am vereinbarten Übernachtungsplatz beim Driraphug-Kloster, lagerte Bruno. Ich querte den schwierig zu passierenden Fluss und versuchte mit Bruno und seinen Yaktreibern den ERDE-Transport zu klären, musste aber unverrichteter Dinge zurückkehren. Ich grub die fünfte ERDE.
Später half mir der gut Englisch sprechende Guide einer Schweizer Gruppe, die nebenan lagerte, in der Auseinandersetzung mit den "stupiden" Yaktreibern, denn unser "Kassierer" aus Lhasa konnte mit den Nomaden überhaupt nicht kommunizieren. Nach über zweistündigem Palaver und dem in Aussicht gestellten Trinkgeld konnte ich immerhin annehmen, dass die Aktion am nächsten Tag weitergehen würde. Der Rest der Gruppe hatte sich entschlossen umzukehren. Ich würde also mit Indra und dem Kassierer alleine weiterziehen, nur das Allernotwendigste mitnehmen und mit nur drei Yaks auskommen. Da alle anderen inzwischen zu Bett gegangen waren, trank ich allein mit Alf, der für den Rücktransport der bisher gewonnenen ERDEN sorgen wollte, mein mitgebrachtes Geburtstagskirschwasser.
Ganz in der Früh brach ich alleine auf, ganz gemächlich, denn vor mir lag der höchste Punkt dieser Reise. Am Silwe Tsäl, einem Bestattungsplatz, benannt nach einem berühmten indischem Bestattungsort, der an 108 weiteren Stellen der ERDE besteht, entnahm ich die sechste ERDE. Als ich den Sack schulterte, tauchte plötzlich Giorgio auf, der sich im letzten Moment entschlossen hatte, die Runde mit zu vollenden. So erreichten wir gemeinsam den Drölma La (5636 m). Mit uns waren -zig Pilger auf der Höhe. Auch unsere Yaks kamen gleichzeitig an. Und jetzt half mir der Treiber sogar beim Einsacken der siebten ERDE. Mit Indras Hilfe wurden Jimmys Fahnen zu den Tausenden anderen gehisst. Die Yaks verließen den Pass bereits wieder, während ich noch mit reger Anteilnahme und Hilfe der Pilger Räucherstäbchen verbrannte.
Begleitet von den Gesängen der Pilger, am türkisen Gaurikundsee vorbei, stiegen wir zügig zum Schabdsche Dratok ab. An diesem Fels mit dem Fußabdruck Buddhas entnahm ich die achte ERDE, bevor wir weiter das Tal hinabgingen. An der einzigen Stelle, von der man den KAILAS von Osten aus sehen kann, nahm ich an der Dritten Niederwerfung die neunte ERDE. Von nun an zog sich der Weg, bis wir am späten Nachmittag endlich das Zutrülphug-Kloster erreichten und das Lager aufschlugen. Der materielle Lohn dieses langen Tages bestand aus einer Flasche Bier, das uns der hier ansässige Pilgerimbisszeltbetreiber verkaufte. Danach nahm ich noch am Fuß der Klostermauer die zehnte ERDE.
Es waren noch etwa vier Stunden zum Ausgangspunkt der Kora, als wir am nächsten Tag losgingen. Am Talausgang, am Gelben Plateau, nehmen alle Pilger ein wenig ERDE mit nach Hause und hier entnahm ich meine elfte, türkisfarbene ERDE. Gegen Mittag kamen wir wieder in Darchen an.
Ich richtete mich im Neubau des Guesthouses ein. Der Raum war ausschließlich mit einer Holzpritsche und einer Glühlampe möbliert, was mir gerade recht war. Die anderen verließen den Ort in Richtung Tölling. Ich blieb allein zurück und nahm die zwölfte ERDE am Tschörten von Darchen, dem Beginn der Kora.
Die nächsten Tage hatte ich mit dem Waschen, Sieben und Trocknen der ERDE zu tun. Dabei stellte sich heraus, dass die Türkiserde kaum zu drucken sein würde. Mit Hilfe von Dhakpa Ott, einem Exiltibeter der in der Schweiz lebt und unter dessen Leitung in Darchen ein Hospital mit tibetischer Medizinschule errichtet wird, konnte ich einen Truck kapern. Mit diesem fuhr ich zum östlichen Talausgang der Kora, eilte zum "Roten Plateau" und entnahm noch einmal ERDE von der elften Stelle.
Die Sherpas hatten mir eine große Menge Käse als Proviant zurückgelassen. Damit konnte ich den Schweizern eine riesengroße Freude machen, sie bereiteten ein Festmahl im Hospital. Wir saßen fröhlich beim Essen, als ein gewaltiger Hagelschauer niederging. Gerade errichtete Mauern stürzten zusammen, und auch mein Guesthouseraum wurde eingeweicht. Glücklicherweise blieben die trocknenden ERDEN und mein Schlafsack verschont.
Dann kamen die Leute aus Tölling zurück und Bruno nach einem weiteren Tag von der Indusquelle.
Am nächsten Morgen kam es zu eklatanten Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Gruppe über die weiteren Vorhaben. Noch dazu weigerten sich die Fahrer zur Saddletschquelle zu fahren. Deshalb schlugen wir zunächst am Ostufer des Manasarovarsees unser Lager auf. Nach einem langen Streitgespräch mit den Fahrern garantierten diese eine rechtzeitige Heimkehr nur, wenn wir bereits in zwei Tagen aufbrächen. Der Monsun war in diesem Jahr in ganz ungewöhnlicher Weise durchgebrochen und hatte die Pisten in einen fürchterlichen Zustand versetzt.
Ich nutzte den verbleibenden Tag zu einem Besuch des Seralung-Klosters und das schöne Wetter zum Trocknen der letzten ERDEN und einem ausgiebigem Bad.
Am nächsten Morgen begann die Heimreise durch das riesige Land. Tagelang endlose Pisten, hohe Pässe, Flussdurch- und -überquerungen, wilde Schluchten in atemberaubender Landschaft. Alfs Jeep blieb im Fluss stecken und wurde von einem Lastwagen herausgezogen. Dort kamen wir heil hindurch. Uns ereilte aber das gleiche Schicksal am Tsangpo (Brahmaputra). Eine eigentlich schon fertiggestellte Brücke hätte nur gegen ein inakzeptabel hohes Bakschisch benutzt werden können. Also mussten wir durch den Fluss. Der erste Jeep schaffte die Querung problemlos. Wir folgten. Eine Zeit lang ging es gut, dann kurvten wir nach links und schon war es passiert. Wir steckten bis knapp unter den Fenstern im Wasser. Inzwischen, viel zu rasch, war der dritte Geländewagen gefolgt und zehn Meter neben uns verreckt. Über Dach und Kühlerhaube stiegen wir aus und wateten zum Ufer. In zwei Gängen retteten wir die letzten in Eimern noch trocknenden ERDEN, zwei zogen wir direkt aus dem Wasser. Regen war im Anzug, Nässe also auch von oben. Zu Fuß kehrten wir über die Brücke zurück zum anderen Ufer und schlugen die Zelte auf. An diesem Abend mussten wir auf das alltägliche, köstliche, mehrgängige Dinner, das unsere Sherpas jeden Abend auf ihren Benzinkochern zauberten, verzichten. Der Truck querte den Fluss erst bei Einbruch der Dunkelheit weit flussabwärts, Straßenarbeiter zogen später unsere Jeeps aus dem Wasser. Ein so noch nie geschautes Farbspiel des Himmels, das sich von den Schneeriesen des Himalaja zu den bezuckerten Bergen des Transhimalaya spannte, ließ das Missgeschick vergessen.
Nach einem ausgiebigen Frühstück ging es am nächsten Morgen weiter über das schier unendliche tibetische Hochland. Trotz des Gefühls bergab zu fahren, blieben wir immer über 4000 Meter hoch. Am Abend bezogen wir wieder ein Zwangslager, weil ausgerechnet an der engsten Stelle der "Straße", am Tsangpo, ein Truck repariert werden musste.
Die folgenden Tage ging es durch immer wechselnde Landschaften. Wir überquerten hohe Pässe, weite Täler und wilde Schluchten. Bei einer Passabfahrt versagten die Bremsen unseres Wagens, sie wurden wurden notdürftig repariert. Später streikte der Motor ausgerechnet vor einem Pass und musste auch später immer wieder angekurbelt werden. Zuguterletzt verloren wir auch noch unseren Auspuff. Der Brahmaputra führte Hochwasser, die Fähre hatte ihren Dienst eingestellt, und wir mussten auf die kürzere Strecke nach Kathmandu verzichten. Eine Zeit lang benutzen wir das Flussbett als Straße. Auch die offizielle Piste musste öfter wegen Unterspülungen verlassen werden, eine schöne Gelegenheit um mit dem Jeep zu versacken. Wir erreichten einen See, an dessen Ufer ungewöhnlich viele Trucks versammelt waren. Die meisten standen bis weit über die Achsen im Schlamm. Auch unser LKW blieb stecken, doch rasch hängt sich einer unserer Jeeps davor und so kommen wir durch. Nachdem Auftauchen der ersten Felder und Bäume erreichten wir Lhatse. Danach ging es durch Schlamm und Staub bis auf einen 5000 Meter-Pass, fuhren dann durch eine Schlucht, rechts mehr als hundert Meter tief im Abgrund der Fluss, links eine senkrecht hohe Wand. Halbmetertiefe Schlammlöcher und Gegenverkehr würzten die Fahrt. Einen Checkpoint passierten wir schon in der Nacht und suchten gleich danach einen Platz abseits der Piste. Unser Truck blieb stecken, wir mussten das Lager in Finsternis errichten. Der später aufgehende Vollmond tauchte das Land am Fuß des Everest in silbriges Licht. Noch einmal blieben wir gefährlich im Fluss stecken, überwanden den Lalung La (5200 m) gegenüber der Shisma Pagma, und fuhren dann bei Regen steil bergab in die tiefen Schlucht von Zhangmu (2350 m). Die chinesischen Grenze erreichten wir 20 Minuten vor ihrer Schließung. Wir warteten auf unseren Truck, die Zeit wurde knapp. Er traf gerade noch rechtzeitig ein und durfte uns dann glücklicherweise nach die 12 km nach Kotari (1750 m), dem nepalesischen Grenzort, zum Umladen folgen. Die ERDE war aus China herausgebracht, mein Bangen hatte ein Ende.
Erdrutsche hatten den Weiterweg verschüttet, der bestellte Bus konnte uns nicht abholen. Trotz Feilschen zahlten wir einen hohen Preis für die Fahrzeuge, die die Durchfahrt versuchen wollten. Aber es ging weiter, nach Einbruch der Dunkelheit trafen wir auf unseren Bus und stiegen um. Weitere Landslides waren zu passieren, auch einige Passkontrollen zu überstehen, ehe wir um 3 Uhr nachts in Kathmandu ankamen.
Die Texte waren bereits gedruckt und die ersten Buchdeckel geschnitzt worden. Mit Jimmy besorgte ich die gelbe Seide für das Buch. Alles Notwendige war getan, ich konnte den Rückflug um eine Woche vorverlegen. Bruno besorgte mir per Fax bei Austrian Airlines ein Freigepäckslimit von 80 kg. Mit einer Federwaage bestimmte ich das Gewicht meiner vier gepackten Säcke auf 120 kg. Beim Einchecken wurde jedoch ein Gesamtgewicht von 149 kg angezeigt. Nach einer kleinen Wartezeit und freundlichen Verhandlungen konnte ich trotzdem den Schalter ungeschoren verlassen. Zwölf Stunden später kam ich wohlbehalten und vom Zoll verschont mit der ganzen ERDE in München an.
Ekkeland Götze
München im Oktober 1999